Ei Lieber, wo sind wir denn daheim? Mit der Vernunft sind wir in diesen Sachen so klug als eine Kuh. Wenns die Vernunft gälte, so wollte ichs besser können als du. Aber wir sind hier nicht in einem Wirtshaus, sondern in der christlichen Kirche. Da müssen wir glauben, nicht was die Vernunft recht dünkt oder was mir oder dir wohlgefällt, sondern was die Schrift uns vorsagt.
Ich lasse alle Stände gut sein, Witwenstand, Jungfraustand, Ehestand. Jeder ist zu loben in seiner Würde und seinem Maß als. Gottes Ordnung und Geschöpf. Jungfrauschaft ist ein köstlich Kleinod, von Gott gegeben. Aber so wenig eine Jungfrau durch ihre Jungfrauschaft gen Himmel kommt, so wenig ich durch mein Predigtamt. Jungfrauschaft verdients gleich wenig als eine Ehefrau. Jungfrauschaft und Heiligkeit rechtfertigen nicht, aber Gott hat sie in Ehren gebracht. Derhalben lernet, die Stände preisen, aber nicht glauben, dadurch selig zu werden.
Wenn’s nämlich wahr ist, daß der von der Jungfrau geborene auch mein ist, so hab ich keinen zornigen Gott. Da muß ich merken und fühlen, wie eitel Lachen und Freude sei im Herzen des Vaters und kein Unlust in meinem Herzen. Wenn wir das fassen, erwachen wir wie aus einem Traum und sprechen: hilf Gott Vater, ist das wahr, daß dein Sohn mein ist? wie kann ich traurig sein? wer sollt mir etwas schaden?
Maria hütet, säugt und nährt das Kindlein, wie eine Mutter soll. Drum spricht die Vernunft, Gott hab das alles dazu getan, daß wir aus ihr einen Abgott machen und daß man die Mutter ehre. Wie kommt die Mutter zu der Ehre? Ohn ihren Willen und ohn ihr Wissen. Alle Lieder, allen Ruhm und alle Ehr der Geburt zieht man auf die Mutter. Und doch lautet der Text nicht zu Ehren der Mutter. Denn der Engel spricht: »Ich verkündige euch Freude, euch ist er geboren!« Also, ich soll mich des Kinds und seiner Geburt annehmen und soll die Mutter vergessen, soviel es möglich ist. Wiewohl man ihrer nicht vergessen kann; denn wo eine Geburt ist, da muß auch eine Kindesmutter sein. Dennoch soll man nicht an die Mutter glauben, sondern daß das Kind mir geboren sei.
Das ist der hohe Artikel, daß wir die zwei Personen in einem Blick ansehen und nicht scheiden, wie es die Engel in eine Person gefasset haben. Sie sprechen davon, als wär’s ein Ding. Du kannst kein Ding so nah zusammenbacken als die zwei Naturen in Christus. Nicht umsonst treib ich diesen Artikel so hart. Ich bin drin gesteckt. Die Vernunft will’s immer so scheiden, daß im Schoß der Mutter nur ein Kindlein sei. Aber die Engel legen Maria den Heiland und Herrn in den Schoß, unzertrennet die geborne und die göttliche Person.
Ich hab es mehr als einmal erfahren, daß mich der Teufel leichter herumbringen kann, wenn ich nicht mit dem Wort gerüstet bin. Er hat mich dahin gebracht, daß ich nicht gewußt habe, ob ein Gott oder Christus sei, und hat mir also genommen, was ich sonst gewiß wußte.
Es ist mir selber begegnet: Wenn ich das Wort habe fahren lassen, hab ich Gott, Christus und alles miteinander verloren. Es gibt auch keinen leichteren Weg, alle Artikel des Glaubens zu verlieren, als außerhalb der Schrift daran zu denken.